Wie, äh… Sie stricken?

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Wie, äh… Sie stricken?
Jawollja. Das tue ich. Und ich habe Abitur, und auch einen Abschluss in Volkswirtschaftslehre von einer schnöseligen Universität in England, eine Ausbildung an der Journalistenschule und hatte, bevor ich Strickdesignerin wurde, einen richtigen Job. Nur damit keine Missverständnisse aufkommen. Ich sehe an Ihrer hochgezogenen Augenbraue, dass Sie mich jetzt gerne belächeln möchten und sehr hart daran arbeiten müssen, es sich zu verkneifen. Lassen Sie mich Ihnen ein bisschen dabei helfen: Stricken ist ein Handwerk, das zwar einfach zu erlernen ist, dessen Ausübung aber keinerlei Rückschlüsse auf Intelligenz oder Bildungsgrad zulässt. Wenn überhaupt, dann ist da ein positiver Zusammenhang: Sehr viele intelligente Frauen stricken, und gerade solche, die in ihrem Beruf regelmäßig geistige Höchstleistungen bringen, suchen in ihrer Freizeit gerne Herausforderungen handwerklicher Art, die das Stricken reichlich zu bieten hat. Umgekehrt lernt jemand, der strickt, komplexe und bisweilen fremdsprachige Anweisungen zu verstehen und umzusetzen, routiniert mit Zahlen und Maßen umzugehen und unvorhergesehene Probleme zu lösen – all das macht sicherlich nicht dümmer. Jedenfalls nicht dümmer als Polospielen, Kochen oder das Sammeln verschiedener Whiskysorten. Und wenn es darum geht, ein Spitzentuch mit einem gar nicht trivialen zarten Lochmuster nachzustricken oder es sogar selbst zu entwerfen, da wird es vom Handwerk zur Kunst. Ja, Kunst, Sie haben ganz richtig gehört! Oder würden Sie jemandem, der gekonnt mit dem Schnitzmesser umgeht und Madonnen und Altäre schnitzt sagen, was er da tue, sei, nun ja…?

Aber, höre ich Sie innerlich rufen, sogar meine Großmutter hat immer gestrickt! Socken, zu jedem Weihnachtsfest, und die waren hässlich und haben gekratzt! Nun, dafür haben Sie mein aufrichtiges Mitgefühl. Leider ist guter Geschmack unter Menschen, die stricken können, genauso häufig oder selten anzutreffen wie im Rest der Bevölkerung. Und ebenso verfügt nicht jede Strickerin und jeder Stricker über ein Einkommen, das es erlaubt, nur exklusiv handgefärbte Qiviut-, Vicuña- oder Yak-Garne zu verstricken. (Ach, Sie wissen gar nicht, was das ist? Da sehen Sie mal: Wer sich mit dem Thema Stricken befasst, kann einiges entdecken und dazu lernen.) Aber zurück zu Ihrer Großmutter. Vielleicht hatte sie nicht die gleiche Schulbildung wie Sie, hat nie studiert und sprach keine Fremdsprachen außer Plattdeutsch. Aber dumm war sie sicher nicht, das haben sie nicht gemeint, oder? Denn warum sollte man annehmen, dass eine Tätigkeit, die Frauen, insbesondere ältere Frauen, schon immer gerne ausgeübt haben, mit minderer Intelligenz korreliert sei? Das wäre ja ziemlich sexistisch, nicht wahr?

Würden Sie so denken, wären Sie allerdings in mehr oder minder guter Gesellschaft: Immer wieder glauben Redakteurinnen aller Publikationsformen, sich vom Stricken und Handarbeiten allgemein abgrenzen zu müssen. Erst kürzlich beklagte die Chefredakteurin eines christlichen Magazins, dass auf der Frankfurter Buchmesse nun tatsächlich auch eine Ecke fürs Handarbeiten reserviert sei, wo doch hier nun traditionell die kulturell viel wertvollere Tätigkeit des Lesens zelebriert werden solle. Dabei zeigt schon ein kleiner Seitenblick auf die aktuellen Bestseller- und Neuerscheinungslisten, dass es recht vielen Menschen beim Lesen keinesfalls ausschließlich um geistige Ertüchtigung geht, sondern oft ganz einfach um Entspannung und Unterhaltung – und darin unterscheiden sie sich kein bisschen von Leuten, die in ihrer Freizeit gern zum Strickzeug greifen.

Ja, aber!, rufen Sie nun, wer hat denn die Zeit, eine ganze Woche an einer Socke zu stricken, die man auch für 6 Euro 50 im Internet bestellen kann, und dann ist sie am nächsten Tag schon da! Stricken, so Ihr Einwand, das ist doch nur etwas für Leute, die sonst nichts zu tun haben, also jedenfalls nichts Besseres…! Völlig richtig. Wer strickt, hat tatsächlich nichts Besseres zu tun, denn es gibt in diesem Moment nichts, was er oder sie lieber täte. Denn, auch das mag neu für Sie sein, Stricken macht Spaß, Stricken entspannt, Stricken schafft Erfolgserlebnisse, wenn der Schal oder die Socke vollendet ist und uns oder jemanden, den wir sehr, sehr gern haben, effektiv wärmt. Gestricktes kann man anfassen und hinterlassen, man kann Menschen damit beschenken und Zuneigung ausdrücken. Eben gerade, weil es so viel mehr Zeit braucht, als einfach einen Strauß Blumen und eine Schachtel Pralinen zu kaufen. Etwas Handgestricktes, Handgemachtes ist unendlich wertvoll, denn es hat die Strickerin nicht nur Geld für Garn und Nadeln, sondern auch Liebe und Lebenszeit gekostet.

Na, möchten Sie mich immer noch belächeln? Vielleicht probieren Sie es statt dessen mal selbst aus: Besorgen Sie sich Garn und Nadeln und ein günstiges Strickbüchlein für Anfängerinnen. Schauen Sie YouTube-Videos, in denen Ihnen das Geheimnis rechter und linker Maschen erklärt wird, oder besuchen Sie einen Strickkurs. Lernen Sie uns und unsere Kunst kennen. Dann dürfen Sie auch gerne lächeln, wenn Sie uns irgendwo stricken sehen.

Lust auf mehr An- und Einsichten zum Thema Stricken? Meine Kolumne erscheint regelmäßig in der Zeitschrift Rebecca, und in meinem Buch “Stricken macht schön” findest du noch viel mehr davon!