Mulesing muss nicht sein
Patrick Gruban, Mit-Gründer und Mit-Inhaber von Rosy Green Wool, über Mulesing bei Merinoschafen und was Handstrickerinnen dagegen tun können
Merinolämmer
Martina Behm: Gerade gab es einen Artikel in DER SPIEGEL und eine ZDF-Reportage über Mulesing bei australischen Merino-Schafen: Dabei wird den Lämmern die Haut um den After herum ohne Betäubung abgeschnitten – eine Praktik, die Tierschützer schon lange kritisieren. Sind denn tatsächlich nur Merinos in Australien betroffen?
Patrick Gruban: Ja, denn die Merinoschafe sind dort extra so gezüchtet, dass sie möglichst viel Wolle produzieren: Sie haben sehr viel Hautfläche und sind darum sehr faltig. In den Falten können sich dann Fliegen niederlassen und Eier ablegen, aus denen Maden entstehen, besonders im Afterbereich. Andere Schafsrassen sind nicht betroffen.
Warum ist das nur in Australien ein Problem?
Die schädliche Fliegenart gibt es nur in Australien – in Südafrika und Südamerika kommt sie dagegen gar nicht vor. In Neuseeland gibt es Merino-Züchtungen mit weniger Hautfalten, und die werden nicht so stark befallen. Dort wurde das Mulesing letztes Jahr verboten, darauf hat man dort jahrelang mit Züchtungen und alternativen Methoden zur Schädlingsbekämpfung hingearbeitet. Wer in Neuseeland Mulesing durchführt, muss mit hohen Geldstrafen rechnen.
Wie kann man ohne Mulesing verhindern, dass Parasiten die Schafe befallen?
Wenn der Züchter immer nah an der Herde ist, die Tiere im Blick hat und sie kontrolliert, dann fällt ihm auf, wenn etwas nicht stimmt und er kann sie behandeln. In Australien sind die Herden sehr groß, laufen frei herum und werden nur per Helikopter beobachtet, und der Farmer sieht sie nur zweimal im Jahr zur Schur. Statt die Haut am Hintern der Tiere operativ zu entfernen, könnte man sie auch mehrmals im Jahr dort scheren, damit die Stelle sauber bleibt und weniger Fliegen anzieht – aber das wäre für australische Farmer aufwändiger und teurer als Mulesing, darum machen es nur wenige.
Aber Mulesing kann ja auch nicht verhindern, dass sich in den Falten am übrigen Körper Maden festsetzen…
Nein, das nicht. Aber dort, wo viel Wolle wächst, kommen die Fliegen nicht so leicht an die Haut heran. Darum ist es an den anderen Körperstellen nicht so ein großes Problem.
Wäre es ein Fortschritt, wenn die Schafe bei der Operation betäubt werden?
Es ist unklar, wie viel das bringt – während des Abheilungsprozesses, der mehrere Wochen dauert, wirkt die Betäubung ja nicht mehr. Aber es wäre natürlich ein Schritt in die richtige Richtung, zumal das Thema seit Jahren bekannt ist. Immer noch werden 70% aller Mulesing-Operationen ohne Betäubung durchgeführt – ein Skandal, den man nur mit der Profitgier der Farmer erklären kann. Der Preis für Merinowolle ist in den vergangenen Jahren um 50% gestiegen, da würde man auch noch genug daran verdienen, wenn man ein paar Cent für die Betäubung ausgibt.
Am einfachsten wäre ja, wenn die Australier ein Gesetz hätten, das das Mulesing verbietet…
Sicher, zumal man sich in Australien des Problems schon seit 15 Jahren bewusst ist. 2004 hatten sie beschlossen, das Mulesing bis 2010 komplett abzuschaffen, aber daraus ist nichts geworden. Es ist immer schwer, beim Thema Tierschutz etwas zu ändern – das sieht man in Deutschland, zum Beispiel beim Thema Ferkelkastration ohne Betäubung. Da dauert es auch wahnsinnig lange, bis neue Gesetze verabschiedet werden.
Wenn ich sichergehen möchte, dass mein Merinogarn ohne Mulesing produziert wurde, kann ich also zum Beispiel darauf achten, dass es aus Südafrika, Südamerika oder Neuseeland kommt…
Genau, aber das ist oft schwierig, weil die wenigsten Anbieter Angaben über die Herkunft des Garns oder die Schafsrasse machen können. Manche schreiben einfach „Wolle“ aufs Etikett und verschweigen, dass es sich um Merinowolle handelt, die von Mulesing betroffen sein könnte. Bei anderen ist die Lieferkette so lang und undurchsichtig, dass man gar nicht mehr sicher sagen kann, woher die Fasern kommen: Der Garnproduzent kauft bei der Spinnerei, die kauft beim Zwischenhändler, der vom Lieferanten und so weiter. Bei Handfärberinnen, die ihr Garn von Großhändlern beziehen, kommt noch ein Schritt dazwischen. Oft läuft das Ganze nur über Vertrauen: Der Hersteller oder Handfärber sagt, das Garn sei Mulesing-frei, kann es aber nicht nachweisen. Und da 90% der weltweiten Produktion von Merinofasern aus Australien kommt, braucht man schon einen besonderen Nachweis für die zusätzliche Sicherheit, dass sie eben nicht in einem Garn stecken. Darum haben wir schon ganz am Anfang gesagt: Wir brauchen für unser Garn ein Zertifikat, einen Beweis, dass es wirklich tierfreundlich produziert wird. Mit dem GOTS-Label –Global Organic Textile Standard – haben wir das. Und wir haben uns auch früh dafür entschieden, unsere Garne auch Handfärberinnen anzubieten.
Warum gehen so wenige Garnhersteller offensiv mit dem Thema Mulesing um? Es gibt ja einige, die nur Merinofasern aus Südamerika oder Südafrika verwenden…
Wer sich zu Mulesing-freier Wolle bekennt, legt sich fest und ist dann unflexibel, wenn Lieferengpässe bei auftreten. Weil wir nicht auf andere Quellen ausweichen können, sind wir gezwungen, langfristige Verträge mit den Lieferanten zu machen und schon zuzusagen, welche Mengen wir in den kommenden Jahren abnehmen werden. Das ist ein Risiko. Bei uns kommt noch hinzu, dass wir als einzige Garnmarke der Welt nur GOTS-zertifizierte Garne anbieten – damit schränken wir uns stark ein, weil wir zum Beispiel Fasern wie Kaschmir oder Seide nur schwer oder gar nicht in dieser Qualität bekommen.
Sind Handstrickerinnen sensibler für das Thema Mulesing als Leute, die ihre Mode fertig kaufen?
Ja, insbesondere die, die sich für hochwertige Garne interessieren. Meine Schätzungen ergeben aber, dass immer noch mindestens 99,5% der in Deutschland verkauften Handstrickgarne nicht GOTS-zertifiziert sind. Klar gibt es auch Hersteller, die zwar kein Zertifikat haben, aber durch eine kurze Lieferkette oder weil sie die Herkunftsfarmen kennen, Mulesing-freies Merinogarn anbieten und damit im grünen Bereich sind – aber letztendlich fehlt doch die Transparenz.
Wie hat sich die Einstellung von Strickerinnen geändert, seit ihr 2012 mit Rosy Green Wool gestartet seid?
Das Thema Mulesing kommt etwa alle fünf Jahre wieder hoch, aber es wird immer noch zu wenig darüber gesprochen. Wir hören ganz oft, dass Leute erst durch unsere Garne überhaupt vom Mulesing erfahren haben und sich dann vornehmen, beim Einkauf mehr darauf zu achten, dass das Garn zertifiziert ist – das ist für uns natürlich das schönste Kompliment!
GOTS
Global Organic Textile Standard – das strengste Label für ökologisch und sozial einwandfrei hergestellte Textilien. Bei Garnen und Kleidung mit dem GOTS-Label kann man sicher sein, dass…
• die Tiere kontrolliert biologisch gehalten werden, kein Mulesing und keine Pestizide verwendet werden
• faire Arbeitsbedingungen herrschen und keine Kinderarbeit stattfindet
• keine umwelt- und gesundheitsschädlichen Chemikalien verwendet werden
• Abwässer fachgerecht entsorgt und der Energieverbrauch kontrolliert wird
• kein chemischer Mottenschutz zum Einsatz kommt.
Mehr Info auf www.global-standard.org
Rosy Green Wool
Wurde 2012 von Rosmary Stegmann und Patrick Gruban in München gegründet und brachte das erste GOTS-zertifizierte maschinenwaschbare Merinogarn auf den deutschen Markt. Rosy Green Wool ist der weltweit einzige Hersteller, der nur GOTS-zertifizierte Handstrickgarne anbietet.
Diese Garne im Strickmich! Shop sind Mulesing-frei:
Blacker Yarns (Merinofasern von den Falkland-Inseln plus Shetlandwolle)
Schoppel (Merino aus Patagonien)
Something to Knit With (Hochlandwolle aus Peru + Alpaka)
Rosy Green Wool (GOTS-zertifizierte Garne mit Merinofasern aus Argentinien)
Amano (Alpakagarne)
Cowgirlblues (Merinofasern aus Südafrika)
Fino von Manos del Uruguay (Merinofasern aus Südamerika)
Yummy 2ply und Yowza von Miss Babs (Merinofasern aus Südafrika)
Yakusi (Yak-Fasern mit Seide)
Fotos © Rosy Green Wool